
Krisenkommunikation
Vom Meme zum Markenerfolg: Astronomers geniale Krisen-PR
Was passiert, wenn ein Kiss-Cam-Skandal viral geht? Astronomer verwandelt das Desaster mit Humor, Tempo und Gwyneth Paltrow in eine clevere Kommunikationsstrategie.
Was sich zunächst wie der Beginn eines viralen Memes anhört, wurde für das Tech-Unternehmen Astronomer zur echten Bewährungsprobe in Sachen Krisenkommunikation. Zwei Führungskräfte des Unternehmens – CEO Andy Byron und die HR-Chefin Kristin Cabot – gerieten unfreiwillig in den Fokus, als sie bei einem Konzert in Boston auf der Kiss Cam landeten. Der Haken: Beide waren verheiratet – allerdings nicht miteinander.
Das Netz reagierte prompt: Screenshots, Spekulationen, Memes – der Vorfall verbreitete sich rasant. Aus dem Software-Unternehmen wurde über Nacht "das Coldplay-Kiss-Cam-Unternehmen". Wie sollte man mit einer solchen Situation umgehen? Rückzug? Aussitzen? Verleugnen?
Astronomer entschied sich für eine vierte – und überraschend clevere – Strategie: Humor, Selbstironie und mediale Offensive.
Der PR-Crash – und der smarte Gegenzug
Normalerweise folgt auf einen derartigen Vorfall ein bekanntes Muster:
Entschuldigungen, interne Untersuchungen, Pressetexte in Juristensprache – und die Hoffnung, dass Gras über die Sache wächst. Doch Astronomer schlug einen ungewöhnlichen Weg ein. Nur vier Tage nach dem Vorfall veröffentlichte das Unternehmen ein humorvolles Video – mit niemand Geringerem als Gwyneth Paltrow, der Ex-Frau von Coldplay-Frontmann Chris Martin, als „temporäre Sprecherin“.
Produziert wurde das Video von der Marketingfirma Maximum Effort, die eng mit Schauspieler und Unternehmer Ryan Reynolds verbunden ist. Reynolds ist bekannt für seinen unkonventionellen, humorvollen Marketingstil, der häufig auf Selbstironie und popkulturelle Anspielungen setzt. Diese Handschrift spiegelt sich auch im Astronomer-Video wider und verleiht der Reaktion eine moderne, sympathische Note – fernab klassischer PR-Mechanismen.
Die Reaktion? Gemischte Verwunderung – und gleichzeitig: breite Aufmerksamkeit. Im Clip beantwortete Paltrow scheinbar pikante Fragen – um dann elegant auf die Vorteile von Apache Airflow (Astronomers Kerngeschäft) umzuschwenken. Sie beendete das Video mit einem Satz, der sinnbildlich für die neue Kommunikationslinie steht:
„Wir machen jetzt wieder das, was wir am besten können – unsere Kunden begeistern.“
Was wir daraus lernen können
Astronomers Umgang mit dem Skandal bietet drei zentrale Erkenntnisse für moderne Krisenkommunikation:
1. Tempo schlägt Taktieren
Je länger ein Unternehmen schweigt, desto mehr Raum überlässt es Spekulationen. Astronomer reagierte schnell – und lenkte so die Aufmerksamkeit aktiv in eigene Bahnen.
2. Kultur schlägt Konvention
Statt auf abgesicherte Pressestatements setzte man auf popkulturelle Intelligenz, Ironie und ein Gespür für den Zeitgeist. In einer Welt voller austauschbarer Corporate-Sprache war das auffallend menschlich – und damit wirksam.
3. Reframing schlägt Rückzug
Astronomer hat das Narrativ nicht verdrängt, sondern umgelenkt. Das Ziel war nicht, den Vorfall ungeschehen zu machen, sondern ihn in eine neue Geschichte einzubetten: die eines Unternehmens, das auch mit Humor Haltung zeigt.
Krise als Chance – nicht nur ein Spruch
Krisen sind unangenehm – aber auch transformativ. Wer es schafft, aus einem kritischen Moment einen neuen Blick auf Marke, Werte und Tonalität zu entwickeln, zeigt echte Kommunikationsstärke. Der ehemalige Stabschef von Barack Obama, Rahm Emanuel, sagte einst während der Finanzkrise 2008: „You never want a serious crisis to go to waste. And what I mean by that is: it's an opportunity to do things you think you could not do before.“ Dahinter steckt eine wertvolle Einsicht: Wenn eine Krise richtig gemanaged wird, kann sie zu einem Wendepunkt werden – für Markenführung, Kultur und Kommunikation.
Astronomer hat die Kontrolle über die Erzählung behalten – anstatt sich in Rückzugsgefechte zu verstricken. In einer Zeit, in der Wahrnehmung in Echtzeit entsteht und sich viral verbreitet, ist genau das essenziell. Die Fähigkeit, das eigene Narrativ zu steuern.
Ob dieser Stil zu jedem Unternehmen passt? Sicher nicht. Aber er zeigt, dass Mut, Timing und Kreativität heute zentrale Erfolgsfaktoren in der PR sind – besonders, wenn das Unerwartete passiert.
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